Pressemitteilung
Topologische Bänder nach Belieben
Lineare magnetische Ketten auf der Oberfläche eines elementaren Supraleiters können topologisch nichttriviale Bänder in ihrem Inneren und als Konsequenz daraus an ihren Enden exotische Majorana-Moden zeigen. Es ist jedoch sehr herausfordernd, diese Bänder spezifisch maßzuschneidern und eine topologisch nicht-triviale Phase „auf Abruf“ zu realisieren. Wissenschaftler der Universität Hamburg haben nun einen Weg dorthin in einer bottom-up-Strategie aufgezeigt: Indem sie einzelne magnetische Atome mit der Spitze eines Rastertunnelmikroskops positionierten, konnten sie die Ausbildung von Bändern in einer Magnetkette während ihres Wachstumsprozesses verfolgen. Sie nutzten dabei die anisotrope Ausprägung der elektronischen Struktur der Atome und konnten so die optimale kristallographische Richtung auf der Oberfläche wählen, um eine topologisch nichttriviale Bandstruktur zu realisieren. Folglich wurden Signaturen der Vorläufer von Majorana-Moden gefunden, von denen erwartet wird, dass sie sich in langen Ketten zu entkoppelten Majorana-Moden entwickeln. Die Studie wurde im Journal Nature Nanotechnology veröffentlicht.
Majorana-Moden (MM) in Festkörpersystemen sind aufgrund ihrer faszinierenden und exotischen Eigenschaften von großem Interesse für die Grundlagenforschung. Aber darüber hinaus dürften Majorana-basierte Elemente auch zu den führenden Kandidaten für Qubits der nächsten Generation gehören. Es wird vorhergesagt, dass MM an den Grenzflächen von topologisch nichttrivialen Supraleitern auftreten, zum Beispiel an den Enden eindimensionaler Magnetketten in Kontakt mit einem normalen, elementaren Supraleiter. Obwohl mehrere experimentelle Arbeiten über den Nachweis von MM berichten, wurde bis dato noch kein vollständig schlüssiger Beweis für ihre Existenz erbracht. Insbesondere wäre es wichtig, Signaturen von MM zusammen mit einer topologisch nichttrivialen Bandstruktur im Inneren der entsprechenden Probe zu finden.
Nun hat ein Team von Physikern in der Forschungsgruppe von Prof. Roland Wiesendanger an der Universität Hamburg eine Plattform vorgestellt, mit der sich topologische Bänder nahezu beliebig maßschneidern lassen. Sie untersuchten einzelne Mangan-Atome, die auf einer atomar sauberen supraleitenden Niob-Oberfläche adsorbiert sind. Das magnetische Moment der Adatome induziert lokal elektronische Zustände innerhalb der Bandlücke des Supraleiters, die sogenannten Yu-Shiba-Rusinov (YSR)-Zustände. Wenn mehrere Adatome nahe nebeneinander positioniert werden, interagieren ihre YSR-Zustände und bilden schließlich Bänder. Interessanterweise sind die YSR-Zustände räumlich anisotrop. Daher hängt ihre Kopplung – und folglich die Ausbildung der Bänder in eindimensionalen Ketten – von der kristallographischen Richtung zwischen den Adatomen ab. Auf diese Weise hat das Team die optimale geometrische Struktur für Magnetketten gefunden, um eine topologisch nichttriviale Bandstruktur auszubilden.
Wenn das Innere einer Kette nichttrivial ist, sagt das „Bulk-boundary-correspondence“-Prinzip topologischer Materie das Auftreten von MM an den Enden der Ketten voraus. Tatsächlich haben die Forscher spektroskopische Signaturen von Endzuständen gefunden, die mit den Vorläufern von MMs übereinstimmen, die nur durch die endliche Länge der experimentell realisierten Ketten begrenzt sind. Aus diesem Grund zeigen sie charakteristische Energieoszillationen in Abhängigkeit von der Kettenlänge. Interessanterweise verhalten sich diese Energieoszillationen an beiden Kettenenden stets synchron, was eine Interpretation der Endzustände durch lokale Unordnung ausschließt.
„Diese Ergebnisse werden unser Verständnis darüber deutlich vertiefen, wie topologisch supraleitende Phasen in Festkörpersystemen entstehen – und sie sind richtungsweisend auf dem Weg zur Entwicklung topologisch geschützter Majorana-Moden“, sagt Lucas Schneider, Erstautor der Studie und Postdoc in der Forschungsgruppe.
Abbildung: Künstlerische Darstellung einzelner Mn-Atome mit anisotropen YSR-Zuständen (orange) und einer linearen Anordnung gekoppelter Atome. Die Wechselwirkung zwischen den Atomen führt zur Entstehung von topologisch nichttrivialen Bändern und den Vorläufern von Majorana-Moden an den Enden der Struktur (blau). Bild: UHH/MIN/Schneider.
Originalpublikation:
Lucas Schneider, Philip Beck, Jannis Neuhaus-Steinmetz, Levente Rózsa, Thore Posske, Jens Wiebe and Roland Wiesendanger,
Precursors of Majorana modes and their length-dependent energy oscillations probed at both ends of atomic Shiba chains
Nature Nanotechnology (2022).
DOI: 10.1038/s41565-022-01078-4
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Prof. h.c. Dr. h.c. Roland Wiesendanger
Department of Physics
University of Hamburg
Jungiusstr. 9a
20355 Hamburg
Phone: 040 / 42838-5244
E-Mail: wiesendanger@physnet.uni-hamburg.de