Gemeinsame Presseerklärung der Philip-Morris-Forschungspreisträger

Deutschland braucht ein nationales Programm für Innovation und Wachstum

Bildung und Forschung - die besten Ressourcen werden vernachlässigt

Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Kessler (Chemie)
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. August-Wilhelm Scheer (Wirtschaftsinformatik)
Prof. Dr. Harald Weinfurter (Quantenoptik)
Prof. Dr. Roland Wiesendanger (Nanowissenschaften)

Deutschland hält mit der internationalen Wirtschaftsentwicklung nicht mehr Schritt. Das ist übereinstimmend die Hauptaussage vieler in den letzten Monaten veröffentlichter Untersuchungen und Ländervergleiche. Allein mit der Reform der Sozialsysteme wird Deutschland nicht zu Wachstum und Entwicklung zurückkehren. Die vier diesjährigen Preisträger des renommierten Philip-Morris-Forschungspreises fordern ein nationales Programm, um die besten Ressourcen Deutschlands besser zu nutzen und auszubauen: Bildung und Forschung. Unabhängige Persönlichkeiten sollten die Verantwortung für die Reform des Hochschul- und Forschungssystems übernehmen.

Das einst vorbildliche deutsche Hochschulsystem weise inzwischen große Risse auf. Das zeige sich zum einen in der mangelnden Umsetzung innovativer Ideen in neue Produkte und zum andern an der Abwanderung von Spitzenwissenschaftlern ins Ausland. Die wirtschaftlichen Defizite seien auch eine Folge der verloren gehenden Innovationskraft. Mit einer besseren Organisation, sind sich die Professoren verschiedener Wissenschaftsdisziplinen einig, könnten die Hochschulen zu mehr Innovation, Wachstum und qualifizierten Arbeitsplätzen in Deutschland beitragen.

Die Preisträger legen "10 Thesen zur Situation der deutschen Hochschulen" vor. Sie formulieren darin vorhandene Defizite ebenso wie konkrete Schritte, die zu einer Veränderung führen würden. Hierzu zählen u.a. der Abbau bürokratischer Hürden sowie längerfristige Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Preisträger fordern eine Erhöhung der Ausgaben für Forschung, insbesondere zur Verbesserung der Situation der Hochschulen, von derzeit 2,4 auf mindestens 3 Prozent des Bruttosozialprodukts wie es die EU für ihre Mitgliedsländer vorschreibt.

10 Thesen zur Situation der Hochschulen in Deutschland

1. Die Grundfinanzierung der deutschen Hochschulen ist in den vergangenen Jahren in dramatischer Weise eingebrochen. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen in vielen Fällen nicht einmal mehr zum Unterhalt vorhandener Geräte, geschweige denn für Ersatzbeschaffungen. Deutschland fällt dadurch im Vergleich zu den anderen hochindustrialisierten Ländern zurück.

2. Die Bürokratisierung an deutschen Hochschulen nimmt mittlerweile groteske Züge an. Wollte man auf alle Umfragen und statistische Erhebungen reagieren, bliebe keine Zeit mehr für Lehre und Forschung.

3. Bürokratische Hürden verbunden mit dem deutschen Ausländerrecht stehen einer verstärkten Internationalisierung der deutschen Hochschulen im Wege. Vereinfachte Verfahren bei der Erteilung von Arbeits- und Aufenthaltsberechtigungen für ausländische Spitzenwissenschaftler müssten schnellstens eingeführt werden.

4. Nachwuchsförderung von jungen Spitzenwissenschaftlern geschieht in erster Linie im Ausland und nicht in Deutschland. Wir subventionieren seit Jahrzehnten im großen Stil das Wissenschaftssystem etwa in USA, beispielsweise durch zahlreiche Postdoc-Stipendienprogramme. Der großen Zahl an hervorragend qualifizierten Nachwuchswissenschaftlern müssen adäquate Perspektiven auch im eigenen Land geboten werden. Gleichzeitig müsste der Mittelbau an deutschen Hochschulen deutlich gestärkt werden. Forschungsintensive Bereiche erfordern erfahrene und hoch qualifizierte Wissenschaftler, die sich auch nach Ihrer Promotion einem längerfristig angelegten, anspruchsvollen Forschungsvorhaben widmen können sollten.

5. Die vielfach geforderte interdisziplinäre Zusammenarbeit an deutschen Hochschulen wird nach wie vor durch institutionelle Schranken behindert. Erforderlich wäre die Einführung einer flexiblen Forschungsschwerpunktsstruktur. Ergänzend zur bisher disziplinär orientierten Struktur von Förderorganisationen und Begutachtungsverfahren müssen fachübergreifende Förderstrukturen aufgebaut werden.

6. Die Forderung nach wachsendem unternehmerischen Denken und Handeln an deutschen Universitäten ist inkompatibel mit einem unentgeldlichen Gutachterwesen sowie einer leistungsunabhängigen Gehaltsstruktur. Die Einführung einer leistungsbezogenen Mittelvergabe bzw. einer leistungsbezogenen Gehaltsstruktur darf nicht durch Willkür bei der Festlegung der Leistungskriterien ad absurdum geführt werden.

7. Durch Studiengebühren würden die Studenten als Kunden selbst zur Evaluierung der Lehre beitragen.

8. Der Wegfall des Hochschullehrerprivilegs bei der Patentierung von Erfindungen bedeutet eine Erschwernis der Zusammenarbeit zwischen universitären Forschungsbereichen und der Industrie, da die Neuregelung in vielen Fällen nicht mehr attraktiv für die Industrie ist.

9. Die wachsende Zahl von Neugründungen privater Hochschulen, z.T. mit staatlichen Mitteln, spiegelt die Ohnmacht bei den Erneuerungsbemühungen des etablierten Hochschulsystems wider.

10. Ein leistungsfähiges Forschungs- und Bildungssystem ist der Garant für Innovation und Wirtschaftswachstum. Dringend erforderliche Reformvorhaben können nicht in anonym-bürokratischen Strukturen umgesetzt werden, sondern erfordern das wissenschaftspolitische Engagement von Persönlichkeiten, die sich durch Unabhängigkeit, Autorität und Fachkompetenz auszeichnen.





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